Vor ein paar Wochen schien die Welt noch in Ordnung zu sein. Die Dinge gingen ihren gewohnten Gang und das Wasser im Haus bewegte sich innerhalb der dafür vorgesehenen Leitungen. Nun weiß ich nicht, was Wasser antreibt, sich so zu verhalten, wie es soll oder eben sich nicht so zu verhalten. Jedenfalls gefiel es dem Wasser in den Leitungen unseres Mehrfamilienhauses einen Ausflug außerhalb dieser Leitungen vorzunehmen. Es bahnte sich von meiner Küche aus unaufhaltsam einen Weg durch sämtliche Wände und Decken hinunter in die Wohnung der herzensguten Nachbarn, die unter mir wohnen, Familie Dingskirchen (übrigens einer der wenigen Namen, die ich mir problemlos merken kann). Dort schien es Kräfte zu sammeln für die weitere Reise. Es entstand ein See, der binnen kurzer Zeit im Dingskirchener Wohnzimmer Knöchelhöhe erreichte. Nun ist zwar Herr Dingskirchen begeisterter Sportangler, aber es schien ihm nicht zu behagen, seinem Sport zuhause nachzugehen. Er nötigte mich, umgehend einen Handwerker kommen zu lassen. Im Interesse guter Nachbarschaft und weil Dingskirchen etwa zwei Köpfe größer ist als ich, beschloss ich, einen Vertreter jener segensreichen Zunft, die dem in Bedrängnis geratenen Normalbürger bei allen lebensbedrohenden Situationen wie Rohrleitungsbruch, unkontrollierter Gasfluktuation oder Modewechsel bei Badezimmerausstattungen zu dienen bestimmt ist, zu bestellen. Nun würde jeder nur durchschnittlich begabte Zeitgenosse das Branchenverzeichnis aufschlagen und nach irgendeinem Feld-Wald-und-Wiesen-Installateur suchen. Bei der Auswahl eines geeigneten Handwerkers handelt es sich aber um eine schwierige Angelegenheit, die penibelster Vorarbeiten bedarf. Ich rief also zunächst einmal alle meine Bekannten und Freunde an und fragte sie, mit welchen Installateuren sie Erfahrungen gemacht hatten. "Den Zerberus-Schnelldienst kannst Du auf keinen Fall nehmen, der ist teuer und unzuverlässig" oder "Laß´ auf alle Fälle die Finger vom Zerberus-Schnelldienst, der zieht Dir nur das Fell über die Ohren!" waren die einzigen Hinweise, die ich erhielt. Diese Zeitgenossen schienen mir etwas zu negativ eingestellt gegenüber der Stütze unserer mittelständischen Wirtschaft. Fleißige, grundehrliche und hart arbeitende Handwerker hatten es nicht verdient, so verunglimpft zu werden.
Meine bisherigen Recherchen hatten bereits einige Tage in Anspruch genommen und Familie Dingskirchen lief inzwischen demonstrativ mit hüfthohen Anglerstiefeln umher. Nun bin ich normalerweise nicht empfänglich für derart vordergründige Theatralik. Aber ich wollte die Situation nicht eskalieren lassen, nicht zuletzt deshalb, weil Dingskichen, wie bereits erwähnt, mich um etwa zwei Köpfe überragt. Da meine sogenannten Freunde mir mit ihren Ratschlägen nicht weitergeholfen hatten, schlug ich das Branchenverzeichnis auf und wählte einfach irgendeinen Feld-Wald-und-Wiesen-Installateur aus. Das Angebot war riesig. Da wäre es doch gelacht, wenn es mir nicht gelänge, einen wirklich fähigen Handwerker aufzutreiben, der dieses kleine Problem innerhalb kürzester Zeit in den Griff bekommen würde. Bei der ersten, der zweiten und auch bei der dritten Nummer, die ich wählte, ging niemand ans Telefon. Von Anrufbeantwortern - die eigentlich Anrufentgegennehmer heißen müssten - hatten die wohl noch nie etwas gehört. Mit dem vierten Anruf war ich dann erfolgreicher. Es meldete sich eine freundliche und sympatisch klingende Stimme: "Arndt, Meier, Schmidt und Weber GmbH & Co. KG, Installationen, Reparaturen, Messungen und Beratungen, guten Tag." Das flößte Vertrauen ein. Da fühlte ich mich gleich gut aufgehoben. Hier spürte man die Kompetenz und die Freude am handwerklichen Arbeiten. Nachdem ich der freundlichen Stimme mein Problem geschildert hatte, fragte ich, wann ich mit einem Besuch ihrer Handwerker rechnen könne. Ein hämisches, spitzes Gelächter war zunächst die einzige Antwort. Als sich die verschlagene Hyäne am anderen Ende der Leitung wieder gefangen hatte, gab sie mir zu verstehen, dass ich frühestens im übernächsten Herbst einen Termin bekommen könne - wenn keine Notfälle dazwischen kämen. Eine Diskussion darüber, dass es sich meiner Meinung nach hier um einen Notfall handele, kam wegen eines technischen Problems nicht zustande: die Hyäne hatte eingehänkt. Beim nächsten Versuch kam ich noch etwas weiter. Eine freundliche jung klingende Dame erklärte sich bereit, mit mir einen Termin zu vereinbaren. Allerdings sollte bereits das Vereinbaren des Termins eine Gebühr kosten und ich sollte zur Abrechung meine Kreditkartennummer durchgeben. Nun bin ich ein entschiedener Gegner solch unlauterer Geschäftspraktiken, ein kompromissloser Verfechter der Gerechtigkeit und außerdem kein Inhaber einer Kreditkarte. Also endete auch dieses Gespräch abrupt und erfolglos. Ich gab aber nicht so schnell auf und arbeitete mich durch das ganze Brachenbuch hindurch. Da ich weder Grundbesitz noch die unverzichtbare Elternbürgschaft vorweisen konnte, kam ich mit der Nimm & Nepp GmbH ebenfalls nicht ins Geschäft. Endlich beim Buchstaben "Z" hatte meine rastlose Suche Erfolg. Der Zerberus-Schnelldienst erkannte meine Notlage und versprach, gleich übernächsten Freitag jemanden vorbeizuschicken.
Meine Nachbarn liefen inzwischen in Taucheranzügen herum. Ich kann wirklich nicht verstehen, wie man seine Signale derart hemmungslos übertreiben kann. Jedenfalls kam der ersehnte Freitag und mein Nachbar kam etwa alle fünf Minuten, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Dabei tropfte er mir rücksichtslos den Teppich nass. Allein, wer nicht kam, war der Zerberus-Schnelldienst. Am Nachmittag versuchte ich, telefonisch in Erfahrung zu bringen, ob noch jemand kommen würde oder ob man mich versetzt hatte. Da mich eine freundliche Bandstimme darüber aufklärte, dass ich außerhalb der Geschäftszeiten anrief, schloß ich, dass Letzteres der Fall war. Direkt am darauf folgenden Montag fand ich eine Rechnung des Zerberus-Schnelldienstes in meinem Briefkasten. Dass sie nicht schnell wären, kann man nicht behaupten. Mir wurden 250 Euro Anfahrtspauschale in Rechnung gestellt. Empört rief ich erneut beim Zerberus-Schnelldienst an. Ich verlangte eine Erklärung dafür, dass man mich einfach versetzt und mir dann auch noch eine Rechnung dafür präsentiert hatte. Man erklärte mir, dass es sich hierbei um eine Pauschale handele, die immer erhoben werden müsse. Wegen eines Notfalls (die Frau des Industriellen Brotundspiel musste unbedingt ihr Badezimmerinterieur neu anordnen lassen) konnte man den Termin leider nicht einhalten. Da ich für diesen Terminausfall nicht allein verantwortlich war (obwohl ich ja nun wirklich nicht ausgerechnet zu dem Zeitpunkt Undichtigkeiten aufweisen musste, zu dem Frau Brotundspiel ihr Bad machen ließ), hatte man aber nur die halbe Pauschale in Rechnung gestellt. Ich konnte mich dieser Argumentation nicht verschließen. So gesehen, war es wirklich kulant vom Zerberus-Schnelldienst. Gerne sei man außerdem bereit, einen neuen Termin mit mir zu vereinbaren. Wir kamen überein, dass schon sechs Wochen später, an einem Mittwoch vormittag, die rettenden Handwerker zu mir kommen würden. Tatsächlich, am späten Nachmittag jenes Mittwochs, der die Wende in meiner Nachbarschaftskrise bringen sollte, kam ein Mitarbeiter des Zerberus-Schnelldienstes. Ein seriös wirkender, älterer Herr mit Ehrfucht gebietendem blauen Arbeitsanzug besuchte mich und sah sich meine Küche an. Inzwischen war die Dingskirchener Wohnung scheinbar vollgelaufen. Jedenfalls hatte ich die Familie schon eine Weile nicht mehr gesehen und ich stand auch bereits knöcheltief und mit hohen Anglerstiefeln bewehrt im Wasser. Der seriös wirkende, ältere Herr mit Ehrfucht gebietendem blauen Arbeitsanzug sah sich das Rinnsal in der Küche an, runzelte die Stirn und gab mir zu verstehen, dass es sich um eine Kleinigkeit handelte. "Allerdings" zügelte er die in mir aufkeimende Euphorie, "brauche ich dazu eine 17er Flansch und eine 19er Schelle." Nun war es leider so, dass ich weder eine Flansch (was immer das sein soll), noch eine passende Schelle im Hause hatte. So blieb dem wackeren Handwerker leider nichts anderes übrig, als wieder einmal unverichteter Dinge abzuziehen. Die prompt eingehende Rechnung wies diesmal die ganze Anfahrtpauschale und außerdem (pauschal) eine Meisterstunde aus. Außerdem wurden mir die Schuhe und der Ehrfucht gebietende blaue Arbeitsanzug in Rechnung gestellt. Sie hatten wegen des Wassers in meiner Wohnung Schaden genommen. Das war fair, dagegen konnte ich nichts sagen.
Schon sieben Wochen später besuchte mich der seriös wirkende, ältere Herr mit Ehrfucht gebietendem neuen blauen Arbeitsanzug wieder und er hatte auch tatsächlich Flansch und Schelle dabei. Allerdings stand mir das Wasser inszwischen im Wortsinne bis zum Hals und das war, so erklärte mir der seriös wirkende, ältere Herr mit Ehrfucht gebietendem blauen Arbeitsanzug, inzwischen eher eine Sache für einen Taucher, denn für einen Handwerker. Dieser Logik konnte ich mich nicht entziehen. Ich verwarf jedoch den Gedanken, nach einem tauchenden Handwerker oder einem handwerkenden Taucher zu suchen. Inzwischen gewöhne ich mich daran, mich mit einem Paddelboot durch meine Wohnung zu bewegen. Außerdem war es mir nicht möglich, rechtzeitig der letzten Rechnung des Zerberus-Schnelldienstes hinterher zu schwimmen. Wenn die ihr Geld haben wollen, können die ja einen Taucher schicken, der es bei mir eintreibt. Der soll dann am besten gleich eine 17er Flansch und eine 19er Schelle mitbringen.
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