Sonntag, 17. Februar 2013

Rückblick auf KW 7/2013


Was war das wieder für eine Woche. Über dem russischen Ural explodiert ein Meteorit und zwischen Satelliten und Erde schlüpft der Asteroid 2012 DA 14 hindurch. Der Papst kündigt seinen Rücktritt an und als Rinder verkleidete Pferde galoppieren durch die Lasagne.

Auf die zurückgetretene Exministerin, Exdoktorin und Exfreundin Anette Schavan folgt nun also Johanna Wanka, die zuvor das Wissenschaftsressort in Brandenburg und Niedersachsen belegt hatte. Hoffentlich ist ihre Dissertation „Lösung von Kontakt- und Steuerproblemen mit potentialtheoretischen Mitteln“ schon überprüft worden. Frau Dr. Wanka hat bei ihrer Vereidigung erklärt, sie wolle das Amt so weiterführen, wie ihre Vorgängerin das getan hat. Das finde ich mutig. In diesem Kabinett sitzen einige Minister, die sich vor allem durch absolute Untätigkeit auszeichnen, aber mit Ankündigung hat das noch niemand gewagt. Alle Achtung!

Eine ganz andere Ankündigung hat in dieser Woche für Schlagzeilen gesorgt und die sozialen Netzwerke verstopft. Wir sind bald nicht mehr Papst. Benedikt XVI. tritt zurück. Das hat es bisher so gut wie nie gegeben. In übler Erinnerung sind mir noch die letzten Jahre seines Vorgängers. Eigentlich war der Mann schon lange tot. Sie haben ihn nur nicht umfallen lassen. Mit Würde hatte das nicht mehr viel zu tun. Nun also ein Rücktritt vom heiligen Stuhl. Auch nach seinem Rücktritt bleibt er wohl Papst und auch unfehlbar. Was für ein Dilemma kommt da auf die Katholiken zu, wenn Benedikt XVI. einmal anderer Meinung sein sollte, als sein Nachfolger. Zwei unfehlbare Ansichten, die sich widersprechen. Das dürfte einen unlösbaren Konflikt darstellen. Hoffentlich erleben wir das noch.

Die Lebensmittelindustrie hat uns wieder einmal mit einem Zaubertrick verblüfft. Dass es ihr gelingt, allerlei übelriechende Chemikalien in naturidentische Aromastoffe zu verwandeln, haben wir ja inzwischen geschluckt. Aber die Zauberei, rumänisches Pferdefleisch, das von einem holländischen an einen zypriotischen Händler verkauft wird, in französisches Rinderhack zu verwandeln, das in Luxemburg zu original italienischen Pastagerichten verarbeitet wird, um in Frankreich, England, Deutschland und in 10 anderen europäischen Ländern auf den Tellern zu landen, ist schon erstaunlich. Chapeau! Das ist Globalisierung mit Unterhaltungswert.

Wolfgang Franz, seines Zeichens Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, also Deutschlands oberster Wirtschaftsweiser hat eine erneute Anhebung des Renteneintrittsalters vorgeschlagen. Dass bereits die letzte Anhebung faktisch lediglich eine Rentenkürzung darstellte, ist ihm natürlich bewusst. Unnötig zu erwähnen, dass er auf Vorschlag der Arbeitgeberverbände im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sitzt. Nach dem Gesetz über die Bildung des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung soll der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung keine Empfehlungen für bestimmte wirtschafts- und sozialpolitische
Maßnahmen aussprechen. Das hindert den Vorsitzenden des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung natürlich nicht daran, als Privatperson entsprechende Empfehlungen auszusprechen. Diese Privatperson Wolfgang Franz hatte nun die Idee, das Renteneintrittsalter mit einer Formel mit der Lebenserwartung zu verknüpfen. Pro anderthalb Jahre zusätzlicher Lebenserwartung sollte das Renteneintrittsalter um ein Jahr steigen. Damit löst er das Problem doch gar nicht wirklich. Umgekehrt würde das funktionieren. Angenommen, die Menschen würden tatsächlich im Durchschnitt länger arbeiten, dann würde das Verhältnis von Arbeitenden zu Rentenempfängern perspektivisch betrachtet sukzessive verbessert, wenn das Renteneintrittsalter im Verhältnis 1:1,5 zur durchschnittlichen Lebenserwartung steigen würde. Irgendwann würden dann allerdings die Menschen länger arbeiten müssen als sie leben. Das dürfte ganz neue Probleme verursachen. Arbeitgeber sähen sich nicht mehr nur der Forderung nach betrieblichen Kitas ausgesetzt, sondern zunehmend auch betrieblicher Pflegeeinrichtungen. Ambulante Pflege würde nicht mehr als häusliche Pflege bezeichnet werden. Vielmehr müssten Pflegekräfte ihre Klientel auf deren Arbeitsstellen begleiten. Neben jedem Schornsteinfeger müsste auch ein Altenpfleger oder eine Altenpflegerin mit aufs Dach klettern. An der Supermarktkasse sitzen Kassiererin und Pflegekraft nebeneinander und im Operationssaal tupft eine OP-Assistentin dem Chefarzt den Schweiß von der Stirn während sein Pfleger ihm die Windel wechselt. Dazu kommen dann noch die Pflegekräfte der Pflegekräfte. Wolfgang Franz wird das nicht kümmern. Er geht Ende Februar 2013 in den Ruhestand - mit 69 Jahren.

Kaum zu glauben, aber wahr: Bundesumweltminister Altmaier und Bundeswirtschaftsminister Rösler haben sich auf einen Kompromiss zur Strompreisbegrenzung geeinigt. Zuvor hatten sie sich eine Auseinandersetzung geliefert, dass man sich fragen musste, wer in diesem Land eigentlich die Opposition ist. Rösler und Altmaier wollen nun den Strompreisanstieg begrenzen, indem sie die Vergütung für neue Ökostromanlagen reduzieren und die Betreiber von neuen größeren Anlagen zur direkten Vermarktung ihres Stroms zwingen wollen. Altmaier betont, dass es der Regierung nicht darum gehe, die Produktion erneuerbarer Energie einzuschränken, sondern lediglich um eine Preisbegrenzung. Die Regierung will nicht weniger erneuerbare Energie, ihre Politik hat nur leider diese unerwünschte Nebenwirkung. Was soll man da machen?

Das war eine aufregende Woche. Die kommende kann das sicher nicht toppen. Warten wir es ab.

Sonntag, 27. Januar 2013

Ein #Aufschrei geht durch das Netz


Das ist schon eine bemerkenswerte Entwicklung. Ein Spitzenpolitiker wird einer unfeinen Handlung bezichtigt und die politische Klasse verurteilt die Bezichtigerin. Das neue FDP-Aushängeschild Rainer Brüderle soll nachts in einer Hotelbar eine junge Journalistin sexuell bedrängt haben. Konkret geht es um unangebrachte Bemerkungen und eindeutige Avancen. Außerdem soll er eine angemessene körperliche Distanz unterschritten haben. In den Reaktionen der offiziellen Politik wird er nicht als greiser geiler Bock gegeißelt. Immerhin traut man sich inzwischen auch nicht mehr, ihn deshalb unverhohlen als tollen Hecht zu loben. Das macht man heutzutage eher zwischen den Zeilen oder im Hinterzimmer. Stattdessen wird kritisiert, dass bereits die Anwesenheit der Journalistin nachts in der Hotelbar zusammen mit Politikern unangebracht sei. Auch dass sie erst nach etwa einem Jahr darüber schreibt, wird natürlich als Indiz angesehen, dass es sich hier um eine gezielte Rufmord-Kampagne gegen Brüderle handelt. Erstaunlich ist, dass die etablierten Medien unisono den selben Tenor schmettern. Differenziertere Betrachtungen finden sich zunächst ausschließlich im Internet. Insbesondere auf Twitter findet unter dem Hashtag #aufschrei eine lebhafte Debatte statt. Außerdem berichten viele Frauen von ähnlichen Erlebnissen, über die sie bisher nicht berichtet haben. Als Reaktion darauf fangen nun auch die Etablierten damit an, das Ganze weniger einseitig zu bewerten.

Nun, die ursprüngliche Bewertung hat sicher in erheblichem Maße mit Rollenklischees zu tun, die wir in unserer fortschrittlichen Gesellschaft noch immer nicht überwunden haben. Zum Beweis betrachten wir den Vorfall doch einmal hypothetisch mit umgekehrten Vorzeichen. Der redliche Politiker und treue Ehemann Rainer Brüderle sitzt im zarten Alter von 67 Jahren mit einer jungen und leicht gereontophil veranlagten Journalistin in der Hotelbar. Dazu bedarf es zugegebenermaßen eines gehörigen Maßes Fantasie. Er möchte seine politischen Überzeugungen und Ziele erörtern, während sie niedere Ziele verfolgt. Zunächst lässt sie mit Blick auf sein Gesäß eine anzügliche Bemerkung fallen: „Sie können aber auch eine Lederhose füllen.“ Das könnte man angesichts seines Alters zwar missverstehen aber gemeint ist nicht etwa ein Pflegeproblem, sondern seine physische Ausstattung. Natürlich erfordert auch diese Vorstellung wieder viel Fantasie, aber es ist ja nur eine Parabel. Als nächstes nähert sich die junge Frau dem Unschuldigen und deutet vage eindeutige Angebote an. In höchster Not rettet die Assistentin den Politiker, indem sie ihn darauf hinweist, dass es Zeit sei, schlafen zu gehen. Wie sähe nun die Bewertung dieses Vorfalls aus? Zunächst würde die Frau ohne Zweifel als moralisch verwahrlost eingestuft. Dem Politiker würde man die Opferrolle nicht im Mindesten absprechen. Die Rollenverteilung Täter(in) und Opfer wäre für alle klar. Allerdings hätten wir davon nie in der Presse gelesen und auf Twitter hätte der Hastag vermutlich #weichei gehießen.

Samstag, 13. August 2011

Die Axt im Haus ist aller Laster Anfang

Vor ein paar Wochen schien die Welt noch in Ordnung zu sein. Die Dinge gingen ihren gewohnten Gang und das Wasser im Haus bewegte sich innerhalb der dafür vorgesehenen Leitungen. Nun weiß ich nicht, was Wasser antreibt, sich so zu verhalten, wie es soll oder eben sich nicht so zu verhalten. Jedenfalls gefiel es dem Wasser in den Leitungen unseres Mehrfamilienhauses einen Ausflug außerhalb dieser Leitungen vorzunehmen. Es bahnte sich von meiner Küche aus unaufhaltsam einen Weg durch sämtliche Wände und Decken hinunter in die Wohnung der herzensguten Nachbarn, die unter mir wohnen, Familie Dingskirchen (übrigens einer der wenigen Namen, die ich mir problemlos merken kann). Dort schien es Kräfte zu sammeln für die weitere Reise. Es entstand ein See, der binnen kurzer Zeit im Dingskirchener Wohnzimmer Knöchelhöhe erreichte. Nun ist zwar Herr Dingskirchen begeisterter Sportangler, aber es schien ihm nicht zu behagen, seinem Sport zuhause nachzugehen. Er nötigte mich, umgehend einen Handwerker kommen zu lassen. Im Interesse guter Nachbarschaft und weil Dingskirchen etwa zwei Köpfe größer ist als ich, beschloss ich, einen Vertreter jener segensreichen Zunft, die dem in Bedrängnis geratenen Normalbürger bei allen lebensbedrohenden Situationen wie Rohrleitungsbruch, unkontrollierter Gasfluktuation oder Modewechsel bei Badezimmerausstattungen zu dienen bestimmt ist, zu bestellen. Nun würde jeder nur durchschnittlich begabte Zeitgenosse das Branchenverzeichnis aufschlagen und nach irgendeinem Feld-Wald-und-Wiesen-Installateur suchen. Bei der Auswahl eines geeigneten Handwerkers handelt es sich aber um eine schwierige Angelegenheit, die penibelster Vorarbeiten bedarf. Ich rief also zunächst einmal alle meine Bekannten und Freunde an und fragte sie, mit welchen Installateuren sie Erfahrungen gemacht hatten. "Den Zerberus-Schnelldienst kannst Du auf keinen Fall nehmen, der ist teuer und unzuverlässig" oder "Laß´ auf alle Fälle die Finger vom Zerberus-Schnelldienst, der zieht Dir nur das Fell über die Ohren!" waren die einzigen Hinweise, die ich erhielt. Diese Zeitgenossen schienen mir etwas zu negativ eingestellt gegenüber der Stütze unserer mittelständischen Wirtschaft. Fleißige, grundehrliche und hart arbeitende Handwerker hatten es nicht verdient, so verunglimpft zu werden.

Meine bisherigen Recherchen hatten bereits einige Tage in Anspruch genommen und Familie Dingskirchen lief inzwischen  demonstrativ mit hüfthohen Anglerstiefeln umher. Nun bin ich normalerweise nicht empfänglich für derart vordergründige Theatralik. Aber ich wollte die Situation nicht eskalieren lassen, nicht zuletzt deshalb, weil Dingskichen, wie bereits erwähnt, mich um etwa zwei Köpfe überragt. Da meine sogenannten Freunde mir mit ihren Ratschlägen nicht weitergeholfen hatten, schlug ich das Branchenverzeichnis auf und wählte einfach irgendeinen Feld-Wald-und-Wiesen-Installateur aus. Das Angebot war riesig. Da wäre es doch gelacht, wenn es mir nicht gelänge, einen wirklich fähigen Handwerker aufzutreiben, der dieses kleine Problem innerhalb kürzester Zeit in den Griff bekommen würde. Bei der ersten, der zweiten und auch bei der dritten Nummer, die ich wählte, ging niemand ans Telefon. Von Anrufbeantwortern - die eigentlich Anrufentgegennehmer heißen müssten - hatten die wohl noch nie etwas gehört. Mit dem vierten Anruf war ich dann erfolgreicher. Es meldete sich eine freundliche und sympatisch klingende Stimme: "Arndt, Meier, Schmidt und Weber GmbH & Co. KG, Installationen, Reparaturen, Messungen und Beratungen, guten Tag." Das flößte Vertrauen ein. Da fühlte ich mich gleich gut aufgehoben. Hier spürte man die Kompetenz und die Freude am handwerklichen Arbeiten. Nachdem ich der freundlichen Stimme mein Problem geschildert hatte, fragte ich, wann ich mit einem Besuch ihrer Handwerker rechnen könne. Ein hämisches, spitzes Gelächter war zunächst die einzige Antwort. Als sich die verschlagene Hyäne am anderen Ende der Leitung wieder gefangen hatte, gab sie mir zu verstehen, dass ich frühestens im übernächsten Herbst einen Termin bekommen könne - wenn keine Notfälle dazwischen kämen. Eine Diskussion darüber, dass es sich meiner Meinung nach hier um einen Notfall handele, kam wegen eines technischen Problems nicht zustande: die Hyäne hatte eingehänkt. Beim nächsten Versuch kam ich noch etwas weiter. Eine freundliche jung klingende Dame erklärte sich bereit, mit mir einen Termin zu vereinbaren. Allerdings sollte bereits das Vereinbaren des Termins eine Gebühr kosten und ich sollte zur Abrechung meine Kreditkartennummer durchgeben. Nun bin ich ein entschiedener Gegner solch unlauterer Geschäftspraktiken, ein kompromissloser Verfechter der Gerechtigkeit und außerdem kein Inhaber einer Kreditkarte. Also endete auch dieses Gespräch abrupt und erfolglos. Ich gab aber nicht so schnell auf und arbeitete mich durch das ganze Brachenbuch hindurch. Da ich weder Grundbesitz noch die unverzichtbare Elternbürgschaft vorweisen konnte, kam ich mit der Nimm & Nepp GmbH ebenfalls nicht ins Geschäft. Endlich beim Buchstaben "Z" hatte meine rastlose Suche Erfolg. Der Zerberus-Schnelldienst erkannte meine Notlage und versprach, gleich übernächsten Freitag jemanden vorbeizuschicken.

Meine Nachbarn liefen inzwischen in Taucheranzügen herum. Ich kann wirklich nicht verstehen, wie man seine Signale derart hemmungslos übertreiben kann. Jedenfalls kam der ersehnte Freitag und mein Nachbar kam etwa alle fünf Minuten, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Dabei tropfte er mir rücksichtslos den Teppich nass. Allein, wer nicht kam, war der Zerberus-Schnelldienst. Am Nachmittag versuchte ich, telefonisch in Erfahrung zu bringen, ob noch jemand kommen würde oder ob man mich versetzt hatte. Da mich eine freundliche Bandstimme darüber aufklärte, dass ich außerhalb der Geschäftszeiten anrief, schloß ich, dass Letzteres der Fall war. Direkt am darauf folgenden Montag fand ich eine Rechnung des Zerberus-Schnelldienstes in meinem Briefkasten. Dass sie nicht schnell wären, kann man nicht behaupten. Mir wurden 250 Euro Anfahrtspauschale in Rechnung gestellt. Empört rief ich erneut beim Zerberus-Schnelldienst an. Ich verlangte eine Erklärung dafür, dass man mich einfach versetzt und mir dann auch noch eine Rechnung dafür präsentiert hatte. Man erklärte mir, dass es sich hierbei um eine Pauschale handele, die immer erhoben werden müsse. Wegen eines Notfalls (die Frau des Industriellen Brotundspiel musste unbedingt ihr Badezimmerinterieur neu anordnen lassen) konnte man den Termin leider nicht einhalten. Da ich für diesen Terminausfall nicht allein verantwortlich war (obwohl ich ja nun wirklich nicht ausgerechnet zu dem Zeitpunkt Undichtigkeiten aufweisen musste, zu dem Frau Brotundspiel ihr Bad machen ließ), hatte man aber nur die halbe Pauschale in Rechnung gestellt. Ich konnte mich dieser Argumentation nicht verschließen. So gesehen, war es wirklich kulant vom Zerberus-Schnelldienst. Gerne sei man außerdem bereit, einen neuen Termin mit mir zu vereinbaren. Wir kamen überein, dass schon sechs Wochen später, an einem Mittwoch vormittag, die rettenden Handwerker zu mir kommen würden. Tatsächlich, am späten Nachmittag jenes Mittwochs, der die Wende in meiner Nachbarschaftskrise bringen sollte, kam ein Mitarbeiter des Zerberus-Schnelldienstes. Ein seriös wirkender, älterer Herr mit Ehrfucht gebietendem blauen Arbeitsanzug besuchte mich und sah sich meine Küche an. Inzwischen war die Dingskirchener Wohnung scheinbar vollgelaufen. Jedenfalls hatte ich die Familie schon eine Weile nicht mehr gesehen und ich stand auch bereits knöcheltief und mit hohen Anglerstiefeln bewehrt im Wasser. Der seriös wirkende, ältere Herr mit Ehrfucht gebietendem blauen Arbeitsanzug sah sich das Rinnsal in der Küche an, runzelte die Stirn und gab mir zu verstehen, dass es sich um eine Kleinigkeit handelte. "Allerdings" zügelte er die in mir aufkeimende Euphorie, "brauche ich dazu eine 17er Flansch und eine 19er Schelle." Nun war es leider so, dass ich weder eine Flansch (was immer das sein soll), noch eine passende Schelle im Hause hatte. So blieb dem wackeren Handwerker leider nichts anderes übrig, als wieder einmal unverichteter Dinge abzuziehen. Die prompt eingehende Rechnung wies diesmal die ganze Anfahrtpauschale und außerdem (pauschal) eine Meisterstunde aus. Außerdem wurden mir die Schuhe und der Ehrfucht gebietende blaue Arbeitsanzug in Rechnung gestellt. Sie hatten wegen des Wassers in meiner Wohnung Schaden genommen. Das war fair, dagegen konnte ich nichts sagen.



Schon sieben Wochen später besuchte mich der seriös wirkende, ältere Herr mit Ehrfucht gebietendem neuen blauen Arbeitsanzug wieder und er hatte auch tatsächlich Flansch und Schelle dabei. Allerdings stand mir das Wasser inszwischen im Wortsinne bis zum Hals und das war, so erklärte mir der seriös wirkende, ältere Herr mit Ehrfucht gebietendem blauen Arbeitsanzug, inzwischen eher eine Sache für einen Taucher, denn für einen Handwerker. Dieser Logik konnte ich mich nicht entziehen. Ich verwarf jedoch den Gedanken, nach einem tauchenden Handwerker oder einem handwerkenden Taucher zu suchen. Inzwischen gewöhne ich mich daran, mich mit einem Paddelboot durch meine Wohnung zu bewegen. Außerdem war es mir nicht möglich, rechtzeitig der letzten Rechnung des Zerberus-Schnelldienstes hinterher zu schwimmen. Wenn die ihr Geld haben wollen, können die ja einen Taucher schicken, der es bei mir eintreibt. Der soll dann am besten gleich eine 17er Flansch und eine 19er Schelle mitbringen.

Keine Gefahr für die Bevölkerung

Obwohl die Sicherheitssysteme moderner Industrieanlagen ständig verbessert werden, kommt es - ganz selten - doch gelegentlich zu kleineren Störfällen. Karl Ranseier, Hobbyaquarianer und von Beruf zweiter Vorsortierer bei der Exundhopp Wertstoffverwertungs GmbH, macht sich daher auch keine Sorgen darüber, dass er neben einem großen Chemiewerk wohnt. Es handelt sich dabei schließlich auch nicht um irgend ein Feld-, Wald und Wiesenchemiewerk, sondern um das Hauptwerk der Pestilenz AG, die berühmt dafür ist, die besten Anlagen der Welt zu haben. Nur sehr sehr selten tritt einmal einer der wirklich aggressiven und hochgiftigen Stoffe aus, mit denen die Pestilenz AG so gute Geschäfte in unterentwickelten Ländern macht. Die Umwelt um das Werk herum ist noch ziemlich intakt. Erst neulich konnte Karl sogar einen Pflanzenkeim direkt an der Werksmauer entdecken. Ein Grashalm wars, der sich da vorwitzig zwischen den Pflastersteinen einen Weg ans Licht suchte. Das sah sehr hübsch aus. Nur schade, dass ausgerechnet an dieser Stelle ein winziges Wölkchen ätzenden Gases darauf wartete, von der tüchtigen Werksfeuerwehr wieder eingefangen zu werden. Danach ist dort nie wieder etwas gewachsen. Aber das ist ja erst zwölf Jahre her. Man soll die Hoffnung nie aufgeben.

Karl Ranseier hat sich an den strengen Geruch gewöhnt, der bisweilen von dem Werk ausgeht und empfindliche Gardinen braucht er wirklich nicht zum Glücklichsein. Die Pestilenz AG hat vor ein paar Jahren allen Anwohnern Aluminium-Jalousien geschenkt und die sehen doch schließlich auch sehr wohnlich aus. Überhaupt geht der Chemiekonzern sehr fürsorglich mit seinen Nachbarn um. Es vergeht keine Woche, in der nicht Mitarbeiter des Werkschutzes in einer nächtlichen Aktion die Autos der Anwohner waschen. So sauber war sein Auto nie, als er noch im Grünen gewohnt hat. Allerdings war es früher auch nicht mausgrau.

Wie gesagt, Karl macht sich wegen der Chemiekalien in dem Werk keine Gedanken. Dass in dieser Gegend seit drei Jahrzenten keine Kinder mehr geboren wurden, wird reiner Zufall sein. Und woanders gibt es auch Menschen mit Glatzen, auch wenn sie dort nicht die absolute Mehrheit ausmachen. In der Gegend um das Werk herum gibt es keine Insekten, keine Ratten und auch ansonsten keine Tiere. Ein Zustand, um den die Bewohner hier sicher von anderen beneidet werden. Karl hat ein Aquarium. Seine Fische sind gegen alle Umwelteinflüsse resistent. Er hat sie von der Pestilenz AG geschenkt bekommen und sie scheinen wirklich alles verkraften zu können. Zudem sehen sie mit ihren leuchtenden Schuppen und den leeren Augenhöhlen wirklich exotisch aus.

Trotz aller Sicherheitsmaßnahmen kann es aber doch einmal passieren, dass etwas, das normalerweise in speziellen Behältnissen aus raumfahrterprobten Materialien aufbewahrt wird, den Weg in die Freiheit findet. Die Pestilenz AG betreibt dann eine ausgesprochen offene Informationspolitik und klärt die Bevölkerung stets umgehend und umfassend darüber auf, dass keine Gefahr besteht. So trat vor kurzem die Chemikalie Trichlorxylolulilaladingsbums aus, die im Verdacht steht, Krebs, Siechtum und Zipperlein auszulösen und die außerdem stark ätzend ist. Trichlorxylolulilaladingsbums wurde früher als Entlaubungsmittel in die Dritte Welt verkauft. Wie wirksam das Mittel ist, kann man in der Sahara bewundern. Schon etwa 72 Stunden nach dem Störfall tritt die Pestilenz AG an die Öffentlichkeit. Ein Sprecher des Chemiekonzerns spricht vor den Fernsehkameras und zu den Anwohnern. Zu keiner Zeit habe eine Gefahr für die Bevölkerung bestanden, beteuert er, während im Hintergrund Werksfeuerwehr zu sehen ist, die Wasservorhänge steuert. Es sei lediglich eine sehr geringe Menge Trichlorxylolulilaladingsbums ausgetreten und außerdem sei das gar nicht so gefährlich, wie allgemein behauptet wird. Der Mann ist durch seinen schweren Atemschutz schlecht zu verstehen, aber Karl glaubt, verstanden zu haben, dass er, als er sich noch nicht auf Sendung wähnte, betete. Seine Schutzmaske und der glänzende Overall wirken sehr seriös und beruhigen Karl. Er wundert sich allerdings ein wenig, als er bemerkt, dass erheblich Teile seiner Kunstledercouch an seiner Hose hängen bleiben, als er aufsteht, um empfehlungsgemäß das Fenster zu schließen. Beim Versuch, die Hose zu reinigen, löst sie sich ebenfalls in Fetzen auf. "Heutzutage wird nur minderwertige Qualität verkauft.", schimpft Karl. Als er das Fenster schließen will, fällt die Glasscheibe auf die Straße. Der Fensterkitt ist zu Staub zerfallen. "Typisch," denkt sich Karl, "diese Handwerker nehmen immer wieder unbrauchbares Material, damit sie oft kommen müssen." Sieben mal war der Glaser dieses Jahr schon hier und es ist erst Mitte Feburar. Auf der Straße fährt ein PKW ungebremst in ein Schaufenster.
Karl schimpft über diese Sonntagsfahrer.

Bevor Karl wieder an seinen Platz auf den Rudimenten seines Sofas zurückkehren kann, bemerkt er, wie ein seltsames Gefühl in ihm aufsteigt. Er fühlt sich ganz leicht und glaubt zu schweben. Schwerelos gleitet sein Wohnzimmer an ihm vorbei. Seine Diele und das Treppenhaus ziehen ebenso an seinem verklärten Auge vorbei, wie die vielen Menschen, die in Schutzkleidung auf der Straße stehen. Ohne jede Anstrengung schwebt Karl in das Innere eines Rettungsfahzeugs dessen Tür sich wie von Geisterhand geführt, hinter der Bahre, auf der er liegt, schließt. Karl bemerkt jetzt, dass er in einem Rettungsfahrzeug der Werksfeuerwehr liegt, das mit Blaulicht, Martinshorn und irrem Tempo ins Werkskrankenhaus rast. Ja, die Pestilenz AG sorgt wirklich rührend für die Anwohner des Chemiewerks. Karl wird behutsam auf einen Seziertisch gelegt. Erfahrene Ärzte des Chemiekonzerns untersuchen ihn im Wortsinne auf Herz und Nieren und stellen fest, dass er eines ganz natürlichen Todes gestorben ist.

Für die Bevölkerung hat zu keiner Zeit eine Gefahr bestanden.